Buecher

Donnerstag, 14. Juli 2005

„Where do you want to go today?“

393693116x.03.lzzzzzzz„Also, dass sowas in unserer Zeit noch möglich ist“ mag man sich fast ungläubig, aber doch auch mit einem gewissen Gefühl trotziger Zufriedenheit sagen. Sieht man sich die Realität des jüngst so gegeißelten Heuschrecken-Kapitalismus an, wird schnell klar, dass man sich auch in der Medien- und Software-Branche nicht mit Samthandschuhen anfasst. PC-Multis schlucken ganze Software-Sparten oder klagen kleinere Mitkonkurrenten mit Softwarepatenten aus dem Rennen.

Es mutet da schon etwas seltsam, ja weltfremd an, dass sich heimlich über die Jahre (doch eigentlich schon seid es Computer gibt) eine kleine elitäre Gruppe von Idealisten formiert hat, die meint, dass Wissen und Software (was ja auch eine Form von Wissen ist) frei und kostenlos für jeden zugänglich sein sollte. Vom kapitalistischen Standpunkt könnte man das als verrückt bezeichnen. Erik Möller und viele andere mit ihm sehen in der Open-Source-Bewegung das Potenzial für einen revolutionären Wandel der (Medien-) Welt.

„Die Medienrevolution ist in erster Linie eine technische Entwicklung mit einem erst noch erwachenden sozialen Bewusstsein.“

Möller, Journalist und Autor der renommierten Nachrichtenseite Telepolis, besticht in seinem Buch aber vor allem durch sein breites Wissen im Bereich der Informatik und des Internets. Äußerst detailreich und spannend zeichnet er die Entwicklung des WWW und bahnbrechender Programme wie Unix oder Linux nach. Fast euphorisch stellt er die über das Internet möglich gewordenen Kommunikations- und Kooperationspotenziale dar. Freie, durch weltweit über das Internet vernetzte Zusammenarbeit entwickelte Software bietet in immer mehr Bereichen eine kostenfreie (meist auch sicherer) Alternative zu den Microsoft-Produkten. Das Internet als Innovationsmotor der Software-Branche. Aber auch Plattform des Wissens und des Informationsaustausches. Die wie die Pilze aus dem Boden sprießenden Blogs, bieten schon jetzt eine wertvolle Ergänzung zu den etablierten Medien. Sie greifen nicht nur oft wichtige, vernachlässigte Themen auf, sie können auch in Sekundenschnelle Vor-Ort-Berichte aus der ganzen Welt liefern – man denke nur an die Tsunami-Katastrophe, über die einige Blogger als erste berichteten. Weiteres prominentes Erfolgsbeispiel auf dem Weg zur „Befreiung der Medien“ ist die freie Enzyklopädie „Wikipedia“. Abermillionen freiwilliger Autoren haben in wenigen Jahren eine der umfassendsten Lexikas im Netz geschaffen. Dabei kann jeder ohne Beschränkung Artikel besteuern und verändern.

Das Wissen strampelt sich also frei und das Internet und gewiefte Informatiker helfen dabei die Fundamente der Software- und Medienmonopolisten ein wenig aufzulockern und den Menschen eine alternative Möglichkeit der Information und Kooperation zu schaffen. Das Potenzial für eine neue, bessere (Medien-) Welt ist also vorhanden. Jetzt muss es nur noch genutzt werden – hoffentlich nicht nur von Informatik-Studenten.

Erik Möller, Die heimliche Medienrevolution: Wie Weblogs, Wikis und freie Software die Welt verändern. Heise Verlag, Hannover 2005, 216 Seiten, 19 Euro

Links:
http://medienrevolution.dpunkt.de
http://www.telepolis.de
http://de.wikipedia.org

http://www.phlow.net/portrait_interview/_erik_moeller_die_heimliche_medienrevolution_wie_weblogs_wikis_und_freie_software_die_welt_veraendern.php (Interview mit Erik Möller)

Freitag, 7. Januar 2005

Geisterstunde im Sachbuchregal

Attac bläst zum publizistischen Gegenangriff

Ein kluger Soziologe hat einmal die These aufgestellt, dass durch jede Kraft, Macht oder Strömung immer gleichzeitig ein jeweiliger Gegenpol geschaffen wird. Irgendwie ein beruhigender Gedanke, kann das Universum so doch (hoffentlich) nicht aus dem Gleichgewicht geraten.
Auch die gesellschaftlichen Entwicklungen der heutigen Zeit haben eine solche Gegenmacht provoziert. Seit einer Weile gehen wieder Gespenster um in der Welt, angeführt von einer gewitzten Organisation namens Attac, die emsig Demonstrationen, Kampagnen, sogar globalisierungskritische Filmfestivals organisiert, alternative Steuerkonzepte erdenkt und unermüdlich für eine andere, bessere Welt streitet. Ohne Unterlass wird informiert, diskutiert und agitiert, um die stummen Massen aufzurütteln und zu sensibilisieren für die akuten Probleme der Gesellschaft. Der Hauptfeind hierbei heißt: Neoliberalismus. Jene wirtschaftliche und politische Strömung, die als Weiterentwicklung des klassischen Liberalismus à la Adam Smith seit einiger Zeit wieder auf dem Vormarsch ist und versucht sich im Bewusstsein der Bevölkerung als einzig wirksamen Weg gegen die Krise zu verankern – meist erschreckend erfolgreich, wie das vorliegende Buch „Gesteuerte Demokratie?“ zeigt.
Mit dieser Sammlung von Beiträgen will Attac nun auch publizistisch verstärkt den einseitigen politischen Entwicklungen zu Leibe rücken. Denn laut den Autoren sei die Politik- und Gesellschaftswissenschaft mittlerweile so einseitig neoliberal geprägt, dass es alternativen Denkrichtungen nahezu unmöglich wird, in gesellschaftlichen Diskussionen (z.B. über den Sozialstaat) überhaupt noch Gehör zu finden. Zu mächtig sind die Schlagworte, dass Deutschland sich einen teuren Sozialstaat nicht mehr leisten könne, mehr Eigenverantwortung von den Bürgern gefordert werden müsse und die Lohnnebenkosten viel zu hoch seien. Wer diesen Kanon anzweifelt, kritisiert, wird schnell als weltfremd oder links-radikal diffamiert.
Wie umfassend das Netz der neoliberalen Eliten ist und wie sie ihre Einflussmöglichkeiten ausspielen, wird dem Leser immer klarer, je tiefer er in die Lektüre von „Gesteuerte Demokratie?“ eindringt. Namhafte Autoren der gemäßigt-linken Publizistik-Szene bieten mit ihren interessant zu lesenden Aufsätzen einen umfassenden Einstieg in die Problematik des Lobbyismus und der Beeinflussung der Politik durch ideologisch geprägte Denkfabriken und PR-Agenturen. Vermeintlich bürgernahe Organisationen wie die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ werden als neoliberale Propagandamaschinen entlarvt und die gefährliche Verquickung zwischen Medien, Politik und Wirtschaft aufgezeigt. Mit fundierten Informationen wird dem Leser immer wieder die Haltlosigkeit der als Sachzwang verkauften neoliberalen Argumente vor Augen geführt. Die übersichtlichen und verständlich geschriebenen Beiträge lassen das ganze Spektrum der Misere erahnen. Nach der Lektüre möchte man beinahe losstürmen um mit wehendem Banner und lautem Aufschrei seiner Wut Ausdruck verleihen und gegen die Ungerechtigkeit in der Welt ankämpfen. Somit sollte das Buch den von Attac beabsichtigen Zweck gut erfüllen.
Doch man gibt sich auch selbstkritisch. So wird sich gegen Ende des Buches u.a. mit den Vor- und Nachteilen der Offenheit und des Pluralismus in sozialen Bewegungen auseinandergesetzt. Auch vor dem Vorwurf die globalisierungskritische Bewegung würde nur fordern und kritisieren, hätte aber selbst keine adäquaten Alternativen zu bieten, werden die Augen nicht verschlossen. Es gäbe Alternativen, diese würden jedoch noch nicht in ausreichendem Maße in der Öffentlichkeit kommuniziert, meint Sven Giegold.
Das engagierte Bildungsbürgertum kann man mit Schriften wie „Gesteuerte Demokratie“ gut erreichen. Nur hoffentlich verliert die Bewegung nicht denjenigen aus den Augen, für den sie eigentlich kämpft – den einfachen Mann.

Ulrich Müller, Sven Giegold, Malte Arhelger (Hrsg.): Gesteuerte Demokratie? – Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen. VSA-Verlag Hamburg 2004, Preis: 12,80 €, 179 Seiten

Links:

www.gesteuerte-demokratie.de
www.vsa-verlag.de
www.buena-vista-neoliberal.de
www.globale-filmfestival.de

(Diese Rezension wird in kürze in der neuen Ausgabe des Berliner "strassen|feger" zu lesen sein.)
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